“Das fragt man nicht!” – Kommunikation im Konflikt: Fragen statt Ratschläge?!

Jonathan Barth

Veröffentlicht in Die Mediation – das Fachmagazin für Wirtschaft, Familie, Kultur und Verwaltung, Ausgabe 2/2016, S. 12

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Bernhard Böhm

„Wer unbedacht Fragen stellt, kann sich schnell „die Zunge verbrennen“. Zumindest dann, wenn er Tabus bricht. Tabus schützen.
Wenn aber etwas nicht thematisiert wird, kann auch nicht darüber geredet werden. Veränderung ist nicht möglich. Aus Schutz wird Macht!
Vielleicht sollten wir hin und wieder Tabus infrage stellen!

„Die letzten Tabus sind gefallen“

Leben wir wirklich in einer tabufreien Zeit, wie es uns gelegentlich suggeriert wird? Ich denke nein! Nach wie vor gibt es Tabus, über die wir nicht sprechen. Auch und gerade in Unternehmen: psychische Krankheiten, Homosexualität, Sucht, Überlastung, Überforderung oder Konflikte. Tabuthemen gibt es viele, etwa im Bereich der Political Correctness und bei ideologischen Fragen.

Tabus sind nicht direkt verbotene Handlungen oder „Kommunikationsverbote“. Sie basieren meist auf nonverbal vereinbartem Verhalten. Verbote können angesprochen, diskutiert und deren Sinn infrage gestellt werden. Tabus hingegen entziehen sich der Diskussion. Wer sie anspricht, tappt schnell in das berühmte „Fettnäpfchen“ – oder die Fritteuse.

Vor- und Nachteile von Tabus

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welche Tabus in Ihrem Unternehmen, Team oder in Ihrer Familie bestehen? Jedes System hat seine eigenen Tabus! Sie sind nicht leicht zu erkennen. Dabei gilt: je größer das System, umso stärker die Macht der Tabus. Ein Unternehmen kann seine ganz speziellen „Tabuzonen“ haben. Diese schützen ein Thema vor Diskussion und Infragestellung. So können beispielweise Menschen vor offener Diskriminierung bewahrt werden, indem ihre psychische Erkrankung nicht angesprochen wird. Oder es werden „Mächtige“ wie etwa Vorgesetzte geschützt, weil ihnen unangenehme Fragen erspart bleiben.

Kehrseite dieses Schutzes sind Beschränkungen, Denkverbote und eingeschränkte Handlungsräume. Oder „versteckte“, subtile Handlungen, die den Tabubruch nicht sofort als solchen erkennen lassen.

Die rote Linie ist überschritten!

Kommen Tabus direkt zur Sprache, wird es meist emotional. Die Ansprache wird als Grenzüberschreitung erlebt. Selbst wenn Tabus und ihre Verletzung dem Gesprächspartner nicht bewusst sind – was gerade im interkulturellen Kontext häufig der Fall ist –, darf er nicht mit Verständnis rechnen. Denn es gibt anders als bei Verstößen gegen explizite Regeln keine eindeutigen Lösungsmechanismen. Häufig wird die Kommunikation und Beziehung abgebrochen, der „Tabubrecher“ verstoßen, gemieden oder verachtet.

Tabus als Entwicklungsbarriere

„Es gibt Dinge, über die spreche ich nicht einmal mit mir selbst“, sagte einst Konrad Adenauer. Bei derartigen Tabus handelt es sich meist um solche, die wir uns selbst setzen – und mit denen wir uns schützen. Genaues Hinsehen fällt schwer, denn der Blick in den Spiegel kann schmerzhaft sein. Somit verhindern unsere „Schranken“, dass wir blinde Flecken erkennen und hinterfragen.

Hinterfragen: ja, mit „Vorsicht“

Das Erkennen von Tabus kann spannend sein. Es ermöglicht neue Blicke, kann Potenziale freisetzen. Manchmal platzt erst dann der Gordische Knoten, wenn etwas „ausgesprochen“ wurde. Und die offene Ansprache entzieht Demagogen frühzeitig den Boden. Aus dem Verweis, „darüber dürfe man ja nicht reden“, lässt sich kein Profit mehr schlagen. Manche „Tabufragen“ können aber auch verletzen und eine unabsehbare Wirkung und Dynamik entfalten. Hier ist Vorsicht geboten! Und manchmal reicht schon der Austausch in der Gruppe darüber, welche Fragen wir uns lieber nicht stellen sollten – weil sie Tabus berühren.

Autor RA Bernhard Böhm, MM., arbeitet seit Ende der 90er-Jahre als Mediator und ist Experte für Mediation und außergerichtliches Konfliktmanagement. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die Mediation innerhalb und zwischen Organisationen bzw. Unternehmen sowie die Mediation im öffentlichen Bereich. Außerdem berät er bei der Umsetzung von innerbetrieblichen Konfliktmanagementsystemen. Als Ausbildungsleiter und Trainer hat er vor vielen Jahren gemeinsam mit Dr. Gernot Barth das Steinbeis-Ausbildungskonzept entwickelt und bildet seitdem Mediatorinnen und Mediatoren in Deutschland und Österreich aus.

zum konkreten Heft “Narzissmus – Das Ich im Mittelpunkt”

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Ich finde, dass eine Wirtschaftsmediation exakt dort gezielt ansetzen kann, wo die Grenze von Tabus tangiert wird. Wie Sie bereits anführen, führt die Ansprache von Tabus meist zu emotionalen Reaktionen. Die Mediation kann hierbei zielführend sein. Vielen Dank für Ihren Beitrag!

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