Teamkonflikte: Die “Goethe-Deutsche” von Gernot Barth

Jonathan Barth

Veröffentlicht in Die Mediation – das Fachmagazin für Wirtschaft, Familie, Kultur und Verwaltung, Ausgabe Quartal III/2017, S. 67ff.

Auflagenstärkstes Fachmedium für Mediation und Konfliktmanagement im deutschsprachigen Raum mit einer aktuellen Auflage von 16.800 Heften

Gernot Barth

Streitigkeiten innerhalb von Teams mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Kulturkreisen stellen Unternehmen zunehmend vor neue Herausforderungen. Divergierende Vorstellungen in Bezug auf eine angemessene Verhaltensweise sind oft der Grund für Auseinandersetzungen. Gelingt es jedoch, einen Perspektivwechsel auch noch mit einer bewussten Wahrnehmung der eigenen kulturellen Prägung zu verbinden, können rationale, überprüfbare Vereinbarungen zum Umgang miteinander Konflikte deeskalieren. Zudem bedarf es einer realistischen „kulturellen Folie“, die als Orientierung dienen kann.

Frau Kalinka Kurkowa* (KK) überreichte ihrem Personalleiter eine circa 150 Seiten dicke Akte – ihr Mobbingtagebuch. Hier wurden drei Jahre Teamkommunikation dokumentiert, in denen sie sich gemobbt fühlte, sagte sie. Ich wurde gerufen, um dem Mobbingvorwurf nachzugehen. Gelesen habe ich das Papier nicht. Prozesse lasse ich mir gern von den Beteiligten selbst erzählen.

In der Auftaktveranstaltung mit den neun Teammitgliedern und dem Personalleiter forderte Letzterer eine Klärung des Vorwurfs, aber vor allem eine bessere Kooperation im Team. Teamleiter wie er selbst seien aufgrund der Fortgeschrittenheit des Eskalationsgeschehens nicht mehr in der Lage, dieses unternehmensintern zu bewältigen. Ich wurde beauftragt, beides voranzutreiben.

Ergebnisse der Einzelgespräche

In den Einzelgesprächen stellte sich heraus: KK, die seit 20 Jahren in Deutschland lebte, hatte am Goethe-Institut in Russland gelernt, dass man sich hier die Hand zur Begrüßung reiche und sich dabei in die Augen schaue. Ihre Kolleginnen taten das nur sehr selten – insbesondere ihr gegenüber. Sie dachte immer wieder: Man schaut sich in die Augen, wenn man sich grüßt – weshalb nicht auch mir? Deutsche sind pünktlich und korrekt (auch im Äußerlichen). Ihr gegenüber erlebte sie das nicht so.

Eine Kollegin berichtete, dass sie Angst vor KK habe, weil sie ihr oft ins Wort falle und unangenehm dicht an sie herantrete. Sie brach in der Mediation im Beisein von KK in Tränen aus. Diese reagierte mit kühlem Unverständnis.

KK korrespondierte direkt mit anderen Hierarchieebenen, da sie den Teamleiter nicht als Chef wahrnahm. Denn dieser gab kaum Anweisungen, sondern debattierte mit den Mitarbeitern.

Ihre Mittagspause regelte sie nach den Erfordernissen ihrer eigenen Arbeitsabläufe mit wenig Rücksicht auf die der anderen.

Die Intervention

KK verstand sich als Deutsche und hatte ihren Migrationshintergrund weitgehend ausgeblendet. Angesichts dieser Ausgangssituation hatte ich eine Interventionsidee. Ich konfrontierte alle Mitarbeiter mit einer Gegenüberstellung deutscher und russischer Stereotype (Lütthans/Zlotina 2012). Hier ein kurzer Auszug aus den von mir zusammengestellten Verhaltensweisen:

Deutsche Kultur Russische Kultur

Umgang mit Kritik

Kritik wird direkt geäußert Kritik erfolgt nur von oben nach unten
Trennung zwischen Sach- und Beziehungsebene Kritik wird schnell als persönlicher Angriff verstanden

Gesprächsverlauf

klar strukturiert Phasen sind nicht deutlich getrennt
abwechselndes Sprechen gleichzeitiges Sprechen
Unterbrechungen werden als unhöflich empfunden, als gegensätzliche Meinung Unterbrechungen gelten als normal, Zustimmung, Weiterführung

Umgang mit Hierarchien

niedrige Machtdistanz hohe Machtdistanz
Mitarbeiter übernehmen auch Verantwortung Mitarbeiter übernehmen auch Verantwortung
Mitarbeiter sind eher Kollegen Mitarbeiter sind eher Konkurrenten

Abb.: Deutsche und russische Stereotype im Vergleich (nach Lütthans/Zlotina 2012).

Die Stereotypenvorlage diente bei der Intervention als Diskussionsgrundlage. Die Teammitglieder fanden sich in den Stereotypen weitgehend wieder. Auf der Basis der so zutage tretenden kulturellen Differenzen im Verhalten konnte die Basis für zukünftig bessere Arbeitsabläufe geschaffen werden. Zum einen kam es zu Entschuldigungen bei verletzendem Verhalten und zum anderen wurden Vereinbarungen getroffen, die die kulturellen Differenzen im Verhalten berücksichtigen.

An keiner Stelle des Verfahrens gab es einen Hinweis darauf, dass KK aus dem Team gedrängt werden sollte.

Notwendigkeit einer kleinteiligen Vereinbarung

In hocheskalierten Konflikten kommt es nach meiner Erfahrung darauf an, Vereinbarungen, die Verhaltensänderungen zum Inhalt haben, sehr kleinteilig zu beschließen. Dies mutet, wie die Auszüge aus der Teamvereinbarung zum Umgang miteinander aus dem Fallbeispiel zeigen, durchaus etwas „kindisch“ an, gibt jedoch den Parteien eine genaue und klare Orientierung.

Teamvereinbarung zum Umgang miteinander (Beispiel)

Arbeitsberatungen

  • Termin ist von allen anderen Terminen freizuhalten,
  • Leitung durch Teamleiter oder Stellvertreter,
  • Beratungen werden regelmäßig durchgeführt, auch wenn nicht alle anwesend sind,
  • Information über Aktuelles aus dem Unternehmen mit Bezug zur Abteilung,
  • Darstellung eigener Aktivitäten – Sachstände und Austausch,
  • Erstellung eines Ergebnisprotokolls auf Flipchart, Pflicht zur Ansicht am ersten Tag der Wiederanwesenheit.

Telefonverhalten

  • Hinweise auf zu lautes Telefonieren oder auf zu laute Gespräche sollten nicht persönlich genommen werden,
  • Hinweise sollen ernst genommen werden.

E-Mail-Verkehr

  • prinzipiell wird CC und BCC im Team unterlassen,
  • Informationen werden im Team generell mündlich weitergegeben bzw. dienstags während der Arbeitsberatung,
  • hausinterne Info-Mails gehen zuerst an den Teamleiter,
  • bei direktem Zugriff aus dem Unternehmen auf einen Mitarbeiter wird der Teamleiter in CC gesetzt (Zusatz: „Über den Sachverhalt habe ich den Teamleiter informiert.“),
  • der Teamleiter meldet im Mailprozess zudem, zu welchem Thema er mehr oder gar keine Informationen wünscht.

Mittagspausenregelung

  • Telefon muss immer besetzt sein,
  • Bildung von zwei Vertretungsgruppen (verschiedene Mittagszeiten möglich),
  • ist nur eine Kollegin anwesend, darf das Telefon auf das Sekretariat umgestellt werden,
  • es wird abgestimmt, wer wann in die Pause geht, bei sich überschneidenden Planungen ist ein Kompromiss zu finden (mit Festlegung der Rückkehrzeit),
  • bei unvorhergesehener späterer Rückkehr erfolgt ein Anruf im Callcenter bzw. bei der Vertretungsperson, um den Informationsfluss sicherzustellen,
  • Einbeziehung von Praktikanten nur bei alleiniger Anwesenheit im Büro.

Neue Büro-Sitzordnung

  • Der Teamleiter sitzt nicht mehr am Eingang, sondern an dem vom Eingang entferntesten Platz; so kann er den Raum überblicken und als Chef wahrgenommen werden, die stellvertretende Teamleiterin sitzt ihm gegenüber,
  • KK sitzt bei den anderen Teammitgliedern und nicht mehr unmittelbar beim Teamleiter.

Umgang miteinander

  • Unterlassen von zweideutiger nonverbaler Kommunikation, zum Beispiel bei Arbeitsberatungen „Blicke zuwerfen“ oder „Gesicht verziehen“, wenn andere reden.

Nach der Festlegung der Regeln wurden diese über vier Sitzungen innerhalb von Arbeitsberatungen evaluiert. Im Ergebnis wurde einige ergänzt:

  • Bei Verstößen gegen die Vereinbarung wird sich im ersten Schritt das Team zusammensetzen, im zweiten Schritt der Mediator hinzugezogen.
  • Mit dem Personalleiter wurde abgesprochen, keine Führungskräfte zu involvieren, da diese voraussichtlich nach alten Mustern agieren werden, sodass der Konflikt eskaliert.

Bei Verstößen gegen die Vereinbarung setzt sich im ersten Schritt das Team zusammen, im zweiten Schritt wird der Mediator hinzugezogen. Mit dem Personalleiter wurde abgesprochen, keine Führungskräfte zu involvieren, da diese voraussichtlich nach alten Mustern agieren werden, sodass der Konflikt eskaliert.

* Die Namen der in dem geschilderten Fall auftretenden Personen wurden zum Schutz ihrer Persönlichkeit geändert.

Autor Dr. Gernot Barth beschäftigt sich seit über 10 Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Konflikt. Er ist Direktor der Akademie für Mediation, Soziales und Recht an der Steinbeis-Hochschule Berlin, Inhaber des Instituts für Kommunikation und Mediation IKOME und gemeinsam mit Bernhard Böhm Leiter des Steinbeis Beratungszentrums Wirtschaftsmediation. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Mediation, insbesondere im inner- und zwischenbetrieblichen Bereich.

zum konkreten Heft “Emotionen – Bleiben Sie sachlich!”

 

 

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